Zoff im Netz – Die Gedanken sind frei…

…aber eben nur bis sie den Weg durch unsere Finger finden, sich durch geschriebene oder getippte Wörter zu Texten und Botschaften manifestieren. Dann sind aus unseren Gedanken Meinungen geworden, dann kann sie jeder sehen, lesen und bewerten. Jeder, der sich öffentlich, also in Zeitungen, Büchern oder dem Internet zu Wort meldet, muss damit rechnen auf Kritik zu stoßen. Gerne konstruktive, oftmals aber eher negative unüberlegte. Besonders dann, wenn es um politische, religiöse oder generell sehr polarisierende Themen geht, kocht es in den Kommentaren.

Besonders hübsch und lehrreich geht es dabei auf Facebook zu. Hier gibt es alles, was das an Stunk interessierte Herz begehrt. Angeregten Diskussionen über vegane Schnitzel, heftige Streitereien über die richtige Kindererziehung bis hin zu politischen Hetzkommentaren, bei Facebook gibt es alles!

Ein üblicher Facebook Feed hat mittlerweile für die meisten der 1,39 Mrd. aktiven User nur noch Bildzeitungsniveau. „Like, wenn du auch zwei Ohren hast“, „Teile jetzt und rette dem kleinen Lukas das Leben“ und natürlich „Du wirst nie glauben, was hinter dieser Tür krasses geschah“.

Und während viele Unternehmen sich jetzt erst mit dem Gedanken einer eigenen Facebook-Präsenz befassen, ist bei den meisten „Socialmedia-Profis“ längst der Waynetrain in den Facebookbahnhof eingelaufen. Facebook ist längst keine lukrative Werbeplattform mehr, sondern vielmehr eine klickgeile Sensations-Schlampe. Ich gehe so weit und kategorisiere die großen Socialmedia-Kanäle mittlerweile in: Facebook = Bildzeitung, Instagram = Vogue und Twitter = taz!

Wer schon mal die Kommentare unter einem sponsored Maggi Post gelesen hat wird als bald an der Zurechnungsfähigkeit der Menschen zweifeln. Solche Werbestörer im „privaten“ Facebook Feed haben in der Regel immer eine sehr unangenehme Eigendynamik und provozieren und beflügeln gleichermaßen.

Oft beginnt so eine Kommentarschlacht recht unspektakulär und harmlos:

Franziska lobt den Geschmack und Dagmar die einfache Zubereitung der neuen Maggi Hackfleischsoße.

Dann kommt Susanne, die zu bedenken gibt, dass Maggi generell ungesund sei und man lieber alles frisch zubereiten sollte.

Hildegard geht noch etwas weiter und stellt die Verfütterung eben dieses Produktes an Kinder als äußerst bedenklich dar. Heutzutage könne ja eh niemand mehr kochen.

Sven mischt sich ein, zu Hause gäbe es ab und zu auch mal was von Maggi, sie wären daher noch lange keine Rabeneltern.

Hildegard unterstellt Sven Faulheit und ein verantwortungsloses Verhalten seiner Familie gegenüber, wahrscheinlich ist er auch noch tätowiert und hat einen großen Kampfhund.

Sven ist nun sehr aufgebracht! Was sich Hildegard denn erlaube, als so offensichtlich adipöse Frau (er hat auf ihrem Facebookprofil gestöbert) über die Gesundheit anderer zu urteilen. So gesund könne sie ja schließlich auch nicht sein.

Die ersten Kommentare mit Popcorn erscheinen…

Dagmar meldet sich noch mal zu Wort und freut sich, dass die Tütenmischung auch wunderbar zu Fisch passt.

Alexandra hat das Gespräch bis hier verfolgt und möchte alle Beteiligten grundsätzlich aufklären. Die Maggi-Macher sind alle Verbrecher, die die Gesellschaft Schritt für Schritt vergiften wollen.

Roman hat sich nur die letzten Kommentare durchgelesen und pflichtet Alexandra bei! Wollten die nicht auch mal das ganze Wasser aufkaufen und teurer verkaufen?!

Detlef meint sich daran zu erinnern, in der Zeitung gelesen zu haben, dass irgendein Diktator aus dem nahen Osten da doch die Finger im Spiel habe. Wer sowas kauft, unterstützt doch indirekt die Mafia!

Pernille hat nun die Schnauze voll und möchte sich zu Wort melden. Vegane Ernährung sei die einzig wahre Lösung, Tiere isst man nun mal nicht, die sind viel zu kuschelig.

Dagmar liked Pernilles Kommentar und schreibt, dass sie euch Tierfreund sei und selber Perserkatzen züchtet.

In einer Welt, die immer schneller wächst, in der mittlerweile fast jeder multisozial vernetzt ist, steigt die Anzahl der unterwürdigen Diskussionen exponentiell.

Es geht nämlich schon lange nicht mehr darum, die besten Argumente zu haben, sondern am lautesten zu brüllen. Nicht selten schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und möchte virtuell aus dem Browserfenster kotzen.

Trotzdem, irgendwie kann man es auch einfach nicht so stehen lassen. Eine unkommentierte Diskussion zum Lieblingsthema in der eigenen Timeline sorgt für unruhige Nächte. Könnte ja so aussehen, als ob man zu feige wäre. Ist ein Nicht-Kommentar ein Zeichen der Kapitulation?

Schnell ist es da passiert und man sieht sich selbst inmitten einer völlig eskalierten Diskussion, in der niemand wirklich liest, was der andere schreibt. In der eigentlich auch niemand mehr weiß, worum es geht oder wer „angefangen“ hat. Diese Eigendynamik im multisozialen Kommunikationsraum ist sicher oft dem Fehlen einer eindeutigen Sprache zuzuschreiben.

Vieles wird zwischen den Zeilen gelesen (oder eben nicht), Persönliches spielt eine sehr große Rolle, gefährliches Halbwissen prallt auf gut gepflegte Vorurteile und auch die jeweilige Tagesform der Beteiligten entscheidet nicht selten über den Ausgang einer solchen Debatte.

In einer rasant wachsenden offenen und vernetzen Welt gibt es keinen Schritt zurück, keinen Pause-Knopf und erst recht kein „Rewind“. Was einmal geschrieben, ist geschrieben! Was einmal provozierte, provoziert! Mit dem, was wir im Netz tun und hinterlassen, erreichen wir viel mehr Augen und Ohren, haben viel mehr Verantwortung.

Wir sollten vielmehr lesen, bevor wir antworten, vielmehr recherchieren, bevor wir argumentieren und besonders, vielmehr nachdenken, bevor wir… alles tun!

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